Zeit als Thema

Zeit wird von vielen Regisseuren gerne als Thema für ihre Filme verwendet. Erzählungen zu Reisen in die Zukunft oder Vergangenheit, Sciene-Fiction-Filme oder ähnliches gibt es in der Filmwelt unzählige. Sehr geschickt geht Wong KarWai mit Zeit um. In seinem Film „2046“ spielt sie eine tiefgründige Rolle.
Der Film knüpft an den Geschehnissen des Films „In the mood for love“ an und spielt in Hong Kong im Jahr 1966. Der Protagonist Chow trifft in Hong Kong eine alte Freundin aus Singapur, die Tänzerin Lulu wieder. Er begleitet sie zu ihrem Hotel, wo sie in ihrem Zimmer mit der Nummer 2046 von ihrem eifersüchtigen Freund umgebracht wird. Chow selber beschließt ebenfalls in dieses Hotel einzuziehen, wobei er das Zimmer 2047 bezieht. Im Nebenzimmer 2046 zieht die Tänzerin Bai Ling ein, mit der Chow eine Affäre beginnt. Doch Chow begreift, dass er zu einer wirklichen Beziehung nicht mehr fähig ist und behandelt Bai Ling wie eine Prostituierte. Während die niedergeschlagene Bai Ling das Hotel verlässt, bemerkt Chow die junge Wang Jing Wen, die Tochter des Hotelbesitzers. Er findet in ihr eine Seelenverwandte, mit der Chow einen Sommer verbringt und gemeinsam mit ihr Kung Fu-Geschichten schreibt. Wang Jing Wen hat ihr Herz aber schon an den Japaner Tak verloren. Deprimiert reflektiert er über eine weitere gescheiterte Beziehung, die er mit der Spielerin Su Li Zhen hatte. Während des ganzen Films arbeitet Chow an seinem Science-Fiction-Roman 2046, in dem er seine Erlebnisse verarbeitet und das Geschehene reflektiert und verklärt.
Die Stadt 2046 aus dem Science-Fiction-Roman Chows steht im Film für die Vergangenheit in die jeder reisen will , aber nicht wiederkehren kann und gleichzeitig steht die Zahl 2046 für die Zukunft. Im Jahr 2046 wird Hong Kong wieder komplett zu China gehören und nicht mehr autonom sein. Dieser empfindsame, feinsinnige Umgang mit Zeit lässt „2046“ wie ein riesiges Zeit-Bild (Vgl. Deleuze 1990) erscheinen, das mit dem Geheimnis-Loch aus In the Mood for Love beginnt und in vielen Aspekten an den Vorgänger anknüpft. Die fragmentarische Struktur der Zeitsprünge ist hier auf eine neue Ebene gehoben, da sich auch die fiktive Zukunftswelt des Science-Fiction Romans unter die ununterscheidbaren Zeitebenen streut. Das große Loch, in das die Geheimnisse geflüstert werden, ist eine Verbindungsstelle in eine andere Zeit. Gesäumt von einer blauen Neonschrift (der Text von Nat King Coles „Quizas, Quizas, Quizas“, ein Song der in In the Mood for Love zu hören war) ist diese geheimnisvolle spiegelnde Skulptur ein mysteriöses Zeit-Bild, eine Art Tunnel in Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart, Realität und Imagination.
Die rubinroten Tränen, die die Androiden mit verzögerten Reaktionen weinen sind Zeitkristalle, die alle Sehnsüchte und verlorenen Liebesmühen von Chow und den anderen Figuren reflektieren. Die Liebe ist bei Wong Kar-wai immer mit der Zeit verbunden, denn - so heißt es in „2046“ - „all unsere Erinnerungen sind in Tränen gebadet“. Was uns Bergson und Deleuze sagen, ist, dass unsere gegenwärtige Wahrnehmung voll ist von Vergangenheit, von achronologischer Zeit, dass wir nichts sehen können ohne gleichzeitig zu erinnern, dass alles, was wir erinnern sich im Moment des Erinnerns verändert, dass sich die Gegenwart immer in Veränderung befindet und, dass das Kinobild wie unser Weltbild nicht allein in der Gegenwart stehen kann. Das ist es, was auch Wong Kar-wai uns sagen möchte.

Ausschnitt Wong KarWai 2046