Beispiel: Fahrenheit

Als Beispiel kann das Spiel Fahrenheit angesehen werden. Dort kann der reale Charakter während eines Spiels zwischen vier verschiedenen virtuellen Identitäten wechseln. Die Auswahlmöglichkeiten bestehen aus Lucas Kane, Lucas Kanes Bruder Marcus, sowie den beiden Polizisten Carla Valenti und Tyler Miles.
Dabei stehen sich in dem Spiel, im Unterschied zu anderen Spielen, Gut und Böse nicht unbedingt gegenüber, da als Spieler zwischen beiden Seiten geswitcht werden kann und muss. Die Spielgeschichte dreht sich um einen mysteriösen Ritualmord, was dessen Durchführung und Aufklärung inkludiert. Dabei stellt die Hauptperson Lucas Kane den Mörder dar, der selbst nicht weiß, was sich ereignet hat, weil er ohne jegliche Erinnerung in einem Bistro aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Die beiden Polizisten Carla Valenti und Tyler Miles versuchen den Mord aufzuklären. Die Figur von Lucas Kanes Bruder Marcus, ist ebenfalls eine wichtige Gestalt der Szenerie und stellt die moralische Gestalt, als Pfarrer, dar. Diese ist so konzipiert, dass der Spieler diesen virtuellen Charakter im Verhältnis zu den anderen virtuellen Identitäten nur kurzzeitig annehmen kann.
Um das Spielziel, die Aufklärung des Mordes, zu erreichen, muss der Spieler nun mit allen Personen spielen, das bedeutet, im Wechsel alle vier Identitäten anzunehmen. Diese werden für die Aufklärung wichtig sein, allerdings jeder auf eine unterschiedliche Art und Weise. Lucas, der die Wahrheit sucht, warum und weshalb er den Mord begangen hat, die Polizisten, die berufsmäßig der Sache nachgehen, sowie Lucas Bruder, der Lucas bei seiner Wahrheitsfindung unterstützt und dabei zwischen Moral und Glauben schwankt.
Der Spieler erfährt in diesem Spiel einen Perspektivenwechsel. Er erhält Einblicke auf ein- und dieselbe Tat, allerdings aus vier verschiedenen Blickwinkeln, da er sich während des Spiels nicht auf eine einzelne virtuelle Identität festlegen kann. Dabei obliegt ihm nicht immer die Entscheidungsfreiheit, wann er als Spieler zwischen den Identitäten wechseln möchte. So kann er dies in manchen Momenten selbst entscheiden, in anderen jedoch nicht. Der Spieler agiert in diesem Spiel allerdings weniger als Spielender, sondern eher als eine Art Regisseur, der die Geschehnisse des Spiels teils beobachtet und teils lenkt. Es geht vordergründig nicht darum, das Spiel zu spielen, sondern vielmehr darum, es aktiv zu erleben.
Dementsprechend scheint es auch nicht überraschend, dass FAHRENHEIT die Spielidee zugrunde liegt, dieses Spiel wie einen Film zu betrachten. Der Spieler soll den Eindruck haben, einen Film zu schauen, bei dem er hier jedoch, durch die Spielkomponente, die Möglichkeit hat, die Hauptdarsteller lenken und führen zu können. Aufgrund dieser einzigartigen Mischung aus Spiel- und Filmszenen, wird es dem Spieler ermöglicht noch tiefer ins Geschehen einzutauchen. Der Spieler wird durch den Perspektivenwechsel unbewusst gezwungen, Zusammenhänge zu erkennen. Er spielt mit beiden Seiten, um den Mord aufzuklären, eine Trennung ist nur schwer möglich. Nichtsdestotrotz wird der Spieler sich mit allen vier Charakteren verbunden fühlen. Die Gefahr des Ausfalls einer Identität ist somit sichtlich erhöht. Der Spieler muss die Erfahrungen, die er als jeder der vier Charaktere durchlebt hat, in seiner realen Identität als Spieler vereinen. Je weiter das Spiel fortgeschritten ist, umso schwieriger wird es, diese Erfahrungen der einzelnen virtuellen Charaktere zu trennen und sich auf einen virtuellen Charakter und dessen Erfahrungen zu fokussieren. Die Ursache findet sich vermutlich darin, dass der Spieler über die Spieldauer Beziehungen zu den verschiedenen Charakteren aufbaut. Wie stark und differenziert diese Beziehungen sind, liegt im Wesen der realen Identität, also dem Spieler als Mensch, begründet und inwiefern er gewillt ist, sich auf diese Beziehungen einzulassen.Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der reale Charakter während des Spiels mit dem Aufeinandertreffen einzelner oder aller virtueller Charaktere konfrontiert wird. Sein Verhalten in dieser Situation hängt dabei maßgeblich von seiner realen Identität ab.Ein Beispiel wie in diesem Fall durch das Aufeinandertreffen eine virtuelle Identität ausfallen kann, wäre folgende: Wird Lucas Kane als einer der virtuellen Charaktere durch seine Gegenspieler, Carla Valenti und Tyler Miles, „geschnappt“, so fällt die Identität des Lucas Kane sofort aus und das Spiel ist beendet, da sich diese aller Wahrscheinlichkeit nach im Gefängnis befindet und aufgrund dessen nicht weiter agieren kann. Neben der virtuellen, kann auch die reale Identität ausfallen. Dieser Fall würde eintreten, wenn die reale Identität Spielsituationen aufgrund fehlender Fähigkeiten nicht bewältigen kann, beispielsweise in Lukas Kanes Vision, in der er von Milben attackiert wird. Die Spielsituation erfordert das schnelle Aufeinanderfolgen von Tastenkombinationen, um die Flucht vor den Angreifern, in Gestalt der Milben, zu ermöglichen. Ist der Spieler dieser Aufgabe nicht gewachsen, so fällt die reale Identität aus.
Die projektive Identität tritt im Spiel FAHRENHEIT nur bedingt in Erscheinung. Dem Spieler ist es zwar möglich, Entscheidungen zu treffen, jedoch haben diese Wünsche der realen Identität keinen ernstzunehmenden Einfluss auf das Spielgeschehen und die Spielgeschichte. Es spielt beispielsweise keine Rolle, ob die reale Identität den Wunsch hat, dass Lucas im Verlauf des Spiels seine Freundin verlässt oder nicht. Die Wahl steht dem Spieler zwar zur Verfügung, ändert oder individualisiert den Spielverlauf daraufhin jedoch nicht Es gibt kaum eine Schnittstelle, die einen individuellen, die Wünsche von virtueller und realer Identität verbindenden, Spielverlauf ermöglicht.
Das explizite Vorhandensein einer projektiven Identität würde eben dies verlangen, dass der reale Charakter seinem virtuellen Charakter Werte und Vorstellungen durch Spielentscheidungen vermitteln kann und sich der Verlauf des Spiels so aktiv durch Verhaltensänderungen und -vermischungen durch den realen als auch virtuellen Charakter ändern ließe.
Im Gegensatz zum Spiel DIE SIMS ist es bei FAHRENHEIT nicht möglich, sich vollkommen mit den Spielfiguren zu identifizieren. Dies begründet sich darin, dass die Spielfiguren bereits vom Autor des Spieles vorbestimmt sind und dem Spieler am Beginn des Spiels nicht die Optionen offen stehen, Entscheidungen bezüglich der Spielcharaktere zu treffen, wodurch sich der Grad der Identifikation deutlich erhöhen würde.